Der Mensch in Uniformen
Wir alle kennen das Sprichwort “Kleider machen Leute”. Oder doch nicht? Oder einfach nicht tief genug?
Sein oder Schein nach aussen, das wissen wir. Aber was macht das Tragen einer Uniform mit uns?
Darüber denke ich seit einigen Tagen nach, denn innerhalb einer Woche wurde ich mit genau dieser Frage konfrontiert.
Angefangen hat alles mit meinem Cousin, der bei einer Sicherheitsfirma arbeitet und nachts seine Runden auf einem Firmengelände dreht. “Jedes Mal, wenn ich meine Arbeitskleidung anziehe, verändere ich mich. Ich werde zu jemandem, der ich nicht sein will und kann.” Seine Hände zitterten, als er die Kaffeetasse zum Mund führte und einen Moment in seinem Redefluss innehielt. Sein Augenglanz ist voll von Angst und Unruhe.
Kaum zwei Tage später fand ich mich in fast derselben Lebensszene wieder. Im Volg, unserem kleinen Laden im Dorf. Die Verkäuferin in ihrer blauen Volg-Uniform brach in Tränen aus, als sie mein Paket nicht in den Computer einlesen konnte.
Ich wollte sie beruhigen und sagte: “Lassen Sie sich Zeit. Wir kriegen das schon hin.” Sie begann wieder ruhiger zu atmen, zwischen den tausend Dingen, die sie in diesem Laden zu tun hatte; ihr Herzschlag konnte ich mit Worten verlangsamen.
“Gerade heute Mittag, als ich diese Kleider angezogen habe, sagte ich mir, ich kann das nicht mehr. Das bin ich nicht und ich fühle mich nicht wohl in dieser Aufmachung.” Mit ihren rissigen, müden Händen zeigt sie auf ihre blaue Arbeitskleidung, auf der oben in Gold “Volg” eingestickt ist. Ihre Arme war kraftlos, ihr Körper stand hilflos hinter der Kasse. Gerne hätte ich sie für einen Moment in den Arm genommen, aber dann hätte ich wohl einen Alarm ausgelöst. Am Boden war eine Sicherheitsschwelle.
Die Polizei rufen, nur weil man jemandem Trost spenden will? Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf und machte mich traurig, auch wenn gleichzeitig ein kleines Lächeln über meine Lippen huschte. Wie bizarr Lebensszenen sein können.
Ich blieb vor dem Tresen stehen und ich dachte dabei an meine Kochschürze, ohne die ich mir das Kochen und Backen in meiner Küche nicht vorstellen könnte. Es ist auch eine Uniform, mit der ich aber Freude und Schönes verbinde.
Mit einem Ruck riss ich mich aus meinen Gedankenausflügen zurück in den Dorfladen und sagte zu der Frau, die in Tränen versank und immer wieder ein “Entschuldigung” murmelte. “Was für eine Einsicht. Seien Sie froh, dass Sie diese Erkenntnis gewonnen haben. Wir alle müssen im Leben weitergehen, wenn die Dinge nicht mehr passen. Wenn es zu eng wird, wenn uns der Atem ausgeht, bei dem, was wir tun. Aufbrechen heisst Chancen zulassen.”
Der kleine Tränenstrom, der schon lange von ihrem Kinn auf das blaue Hemd tropfte und es nässte, versiegte.
Und wieder einmal sollten wir uns fragen, ob diese Kleider, die wir täglich anziehen, unsere Seele streicheln oder sie ersticken.